
Eine Geschichte vor Publikum unterhaltsam vortragen ist eine besondere Gabe. Nicht umsonst spricht man von der „Kunst des Erzählens“. Einer, der dieses Talent besitzt und die dazu notwendige Technik beherrscht, ist Hartmut Lengenfeld, Gemeindereferent im Katholischen Pastoralverbund Reckenberg. Mitglieder des Heimatvereins Wiedenbrück-Reckenberg durften jetzt erleben, wie wort- und gestenreich der 62-jährige, aus Oberhausen stammende Religionspädagoge seine Geschichten erzählt und wie sehr er damit seine Zuhörer fesseln kann.
Den Anlass für seinen Auftritt vor gut 40 Heimatfreunden bot das traditionelle Grünkohlessen, zu dem der Verein in die Gaststätte Klosterschenke eingeladen hatte. Bevor die Servicekräfte das wohlschmeckende Wintergericht aus weichgekochtem Kohl, Kassler, Bratkartoffeln, Mett- und Kohlwurst auftischten, nahm Lengenfeld, der über eine Zusatzqualifikation als Theaterpädagoge verfügt, die Gäste mit auf eine Zeitreise in die jüdische Gesellschaft der ostpolnischen Stadt Chelm.
Das Städtchen ist wegen der Einfältigkeit seiner Bewohner so etwas wie das polnische Pendant zum deutschen Schilda (Schauplatz der Schildbürgerstreiche). Chelm ist auch Heimat von „Schlemihl“, der – so die Geschichte – auf seinem Weg nach Warschau wieder zu Hause bei Frau und Kindern landet und davon überzeugt ist, in einem zweiten Chelm angekommen zu sein.

Ungleich weniger unterhaltsam von Hartmut Lengenfeld vorgetragen wie die mit viel jüdischem Humor gespickte „Schlemihl“-Geschichte war danach das Grimm-Märchen „Von dem Mäuschen, Vögelchen und der Bratwurst“. Stichwort „Wurst“: Bevor die Wiedenbrücker in die aufgetischten Mettwürste beißen konnten, weckte ihr Rhedaer Gast und Heimatfreund Gerhard Sanker mit einem Gedicht den Appetit auf das saisonale Abendessen. Auszug aus den von Kurt Plötz verfassten Versen: „Du schönster Grund für Hunger und Durst/du Kirchgang für Gaumen und Magen/Oh herrlicher Grünkohl mit Backe und Wurst/mein Licht in den dunkleren Tagen.“
Nach dem Genuss des warmen Abendessens servierte Lengenfeld quasi als Dessertersatz noch die Fabel von dem hochmütigen Hähnchen mit einem Flügel und einem Bein. Dies war auf seinem Weg zum Königsschloss zu stolz, um in mehreren Notfällen Hilfe zu leisten und musste dafür bitterböse büßen. Auch diesmal war es im Saal mucksmäuschenstill, als Lengenfeld die Geschichte mit viel Pathos erzählte. Wie es ihm immer wieder gelingt, von Alt und Jung die volle Aufmerksamkeit zu erhalten? Dazu sagt der Pädagoge, der das Geschichteerzählen als sein „berufliches Hobby“ bezeichnet: „Das geht nur, wenn dich die Geschichten selber voll und ganz ansprechen.“
Text und Fotos von Rainer Stephan.