Neue Erkenntnisse durch die Archäologischen Ausgrabungen an der Wasserstraße im Sommer 2022

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Von Martin Brockhinke

An der Wasserstraße in Wiedenbrück klafft inzwischen schon seit zwei Jahren eine große Baulücke. Schon im Sommer 2021 wurde dort ein markanter Backsteinbau von 1889 abgebrochen, der über 100 Jahre lang die Schmiede und Kunstschlosserei Strathewerd beherbergte.
Es folgte im letzten Jahr das Fachwerkhaus Wasserstraße 30, dessen Vorgängerbebauung bereits seit dem ausgehenden Mittelalter nachweisbar ist. Die Wiedenbrücker Altstadt hat damit zweifellos einen Teil seiner Identität verloren, an den sich noch viele Bürger erinnern werden.

Drohnenaufnahme des Grabungsbereiches. Foto: Fotostudio Zeidler, Rheda-Wiedenbrück

Die Abbruchmaßnahmen wurden durch archäologische Ausgrabungen begleitet, die von der Firma Archäologie am Hellweg eG, unter Fachaufsicht des LWL durchgeführt wurden.
Nachdem in der Zwischenzeit bereits einige Vorberichte durch die Presse veröffentlicht wurden, liegt seit Juli 2023 jetzt auch der abschließende Grabungsbericht vor.

Über die untere Denkmalbehörde (Herr Landwehr) hat der Heimatverein Kontakt zur Grabungsleitung gesucht und einige Erkenntnisse zur Geschichte dieses Bereiches beitragen können. Hilfreich war dabei insbesondere die langjährige Arbeit des (inzwischen leider verstorbenen) Heimatforschers Josef Temme. Eine ergänzende Dokumentation mit neuen Erkenntnissen aus archivarischen Quellen konnte der Verfasser den zuständigen Stellen zur Verfügung stellen (siehe die unten verlinkte PDF-Datei).

Die Grabungsleiterin Frau Hussein-Oglü hat mir freundlicherweise kürzlich den vollständigen Grabungsbericht zur Verfügung gestellt, aus dem ich im Folgenden einen Ausschnitt aus der Zusammenfassung zitieren möchte:

…Grob lassen sich zwei Zeithorizonte unterscheiden: einen (früh-)neuzeitlichen, der sich ggf. unter Hinzuziehung weiterer Quellen nochmals weiter differenzieren ließe in einen das 16./17. Jh. umfassenden Horizont und einen das 18./19. Jh. betreffenden. Daneben konnte auch ein hochmittelalterliches Befundspektrum beobachtet werden, das in die Zeit der Wiedenbrücker Neustadtgründung zu stellen sein dürfte.

Von besonderem Interesse ist der archäologisch nun nachweisbare Verlauf der Gräfte der Stiftsburg Reckenberg im Bereich der Hausparzellen Wasserstraße 28 und 30 samt einer hölzernen Uferbefestigung. Die vor Ort angetroffene Situation lässt sich gut mit der im Preußischen Urkataster dargestellten übereinbringen und wird demnach aller Wahrscheinlichkeit nach die neuzeitlichen Gegebenheiten widerspiegeln, was nicht zwangsläufig auch dem ursprünglichen Verlauf des Grabens nahe kommen muss. Insbesondere der Nachweis eines befestigten Wegs zum Amtshaus Reckenberg bestätigt einige historische Quellen und Karten, in denen von dem „alte[n] Weg nach dem Amtshause“ die Rede ist (u.a. „Harsewinkel-Chronik, siehe dazu das Manuskript Brockhinke 2022).

Die mittelalterlichen Befunde umfassen vor allem Pfostenlöcher und seltener Gruben; in einem Fall sogar einen Schichtrest, der u. U. als Originaloberfläche gewertet werden könnte. Für eine quadratische Struktur unterhalb eines neuzeitlichen Brunnens aus Bruchsteinen wurde hier vorgeschlagen, sie als hölzernen Verschalungsrest eines Vorgängerbrunnens zu interpretieren. Daneben wurden drei in den Boden eingelassene Holzfässer dokumentiert, die als „Kühlschränke“ für Lebensmittel zu werten sind…
(Quelle: Archäologie am Hellweg eG, Grabungsbericht Rheda-Wiedenbrück, Wasserstraße vom 13.07.2023)

Stadtgeschichtlich bedeutsam erscheint, neben Relikten der dem 13. Jahrhundert zuzuordnenden Wohnbebauung, insbesondere der jetzt auch archäologisch nachgewiesene „alte Weg nach dem Amtshause“ der bisher nur durch die Chronik des Stiftsdechanten Florenz Karl Joseph Harsewinkel (+1818) bekanntgeworden ist.

„Alter Weg zum Amtshaus“. Skizze von Josef Temme, 2006

Josef Temme konnte diesen Weg nach Harsewinkels Lagebeschreibung schon im Jahre 2006 mit einer Kartenskizze genau lokalisieren. Demzufolge verlief dieser Weg in Verlängerung der heutigen Wichernstraße in Richtung des Reckenberges.

Im Lohnherrenregistern der Stadt von 1612 sind Reparaturarbeiten an diesem Weg belegt, bei denen er „Mit Posten belagt“ wird. Diese „Pfosten“ deuten auf einen mit quer verlegten Bohlen befestigten „Bohlenweg“ hin – eine frühe Form der Straßenbefestigung. Genau solche Bohlen wurden im Sommer 2022 bei den Ausgrabungen gefunden und dokumentiert.

Der „alte Weg nach dem Amtshause“ (hier nur noch durch Bodenverfärbungen erkennbar). Foto: M. Brockhinke

Der weitere Verlauf und die Funktion dieses Weges Richtung Reckenberg bleibt aber auch nach den neuesten Ausgrabungen noch mit einigen Fragezeichen behaftet: Das Torhaus des Reckenberges (und damit die Hauptzufahrt) ist spätestens seit 1634 sicher auf der Nordseite der Burg nachweisbar. Zu diesem Torhaus hat der jetzt ausgegrabene Weg aber keinen direkten geographischen Bezug.

Wahrscheinlicher erscheint dem Verfasser deshalb die Interpretation als Nebenweg zum Reckenberg, der nach der neuzeitlichen Befestigung (um 1644) auf die heutige Straße „Am Neuen Werk“ verlegt wurde. Diese Straße (die früher entlang der Stadtmauer verlief) hatte nach einer Lagebeschreibung von 1584 seinerzeit noch keine direkte Anbindung an die Wasserstraße.
Für die Heimatforschung und die professionelle Archäologie gibt es hier deshalb auch in den nächsten Jahren sicher noch einiges zu entdecken… .