Artikel aus »Die Glocke« von Rainer Stephan (April 2023)
Gleich zwei Ereignisse haben Ende der vergangenen Woche offizielle Vertreter von Stadt, Kirchengemeinden und Heimatverein Wiedenbrück-Reckenberg mit einer größeren Zahl interessierter Mitbürger auf dem Wiedenbrücker Kommunalfriedhof zusammengeführt. Im einen Falle ging es um die Einweihung des neuen (zweiten) Memoriamgartens, im anderen Fall um die Vorstellung eines neu ausgewiesenen Rundwegs zu Gräbern, die im Zusammenhang mit den Sakralkünstlern der „Wiedenbrücker Schule“ stehen.
Als Vertreter der Stadt hieß der stellvertretende Bürgermeister Georg Effertz die Gäste der Einweihungsfeier auf dem neuen Gräberfeld willkommen. In seiner Ansprache erinnerte Effertz an die Entstehungsgeschichte der Grabanlage, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem am Tag der Einweihung besonders (laut-)stark befahrenen Nordring befindet. Der vor acht Jahren geweihte erste Memoriamgarten, so Effertz, sei nicht nur eine Alternative zur traditionellen Friedhofskultur und zur anonymen Bestattung. Er habe sich auch als optische und ästhetische Bereicherung für den Friedhof herausgestellt. Die jetzt notwendig gewordene Anlage eines zweiten derartigen Gartens zeige die starke Annahme dieses Angebots.
Der stellvertretende Bürgermeister dankte der Arbeitsgemeinschaft Rheda-Wiedenbrücker Friedhofsgärtner, der angehenden Landschaftsarchitektin Johanna Kohnert sowie den Mitarbeitern des städtischen Bauhofes für ihre Mithilfe und Unterstützung bei Planung und Anlage des neuen Memoriamgartens. Ein weiteres Wort des Dankes für die Ausweisung des neuen Friedhofsrundgangs ging an den Heimatvereinsvorsitzenden Dr. Wilhelm Sprang und Museumsleiterin Christiane Hoffmann.
Dass es sich bei einem Memoriamgarten um einen geschützten Begriff handelt, unterstrich Roland Wagner als Sprecher der Friedhofsgärtner. Nach offizieller Definition, so Wagner, seien hier alle Grabstätten in harmonischer Art und Weise miteinander verbunden, da es keine klaren Abgrenzungen wie bei klassischen Gräbern gebe. Kein Verstorbener würde an diesem friedlichen Ort anonym beigesetzt. Namen würden auf kunstvollen Grabmalen verewigt.
Wie diese Vorgaben im Falle des zweiten Memoriamgartens auf dem Wiedenbrücker Kommunalfriedhof umgesetzt wurden – davon konnten sich die Gäste der Eröffnungsveranstaltung selbst ein Bild machen. Zentraler Punkt des Gartens ist ein Brunnen mit einer Pergola, die noch eine Rankbepflanzung erhält. Unter dem später grünen Dach kann dann – gegen Regen und Sonnenlicht geschützt – in kleinen Gruppen Abschied genommen werden. Die Grabsteine, von denen einige bereits als Muster gesetzt sind, bestehen aus heimischen Materialien: Anröchter Dolomit, Ibbenbürener Sandstein und Wesersandstein. Etwa 200 Begräbnisplätze bietet der rund 1.000 Quadratmeter große Memoriamgarten – neben Einzel- und Doppel-Urnengräbern auch Grabstellen für Einzel- und Doppel-Sargbestattungen. Eine neue Bestattungsform bietet ein Bücherregal aus Stein. Getreu dem Motto „Jeder Mensch schreibt das Buch seines Lebens“ können hier die Namen der Verstorbenen auf steinernen Büchern verewigt werden.
Zu den besonderen Merkmalen des neuen naturnahen Memoriamgartens zählen großformatige Sandstein-Grabmale. Diese haben die beiden Wiedenbrücker Familien Ottens und Volmer nach der Einfriedung ihrer Gräber für die Gestaltung des Memoriamgartens zur Verfügung gestellt. Geschaffen vom Künstler Stefan Volmer sind sie als Nummer 20 und 21 Teil des neu angelegten Rundgangs über den Friedhof.
In einer feierlichen Zeremonie nahmen Pfarrer Olaf Loer für den katholischen Pastoralverbund Reckenberg, Pfarrerin Kerstin Pilz und Vikarin Eva Meisel für die evangelische Versöhnungskirchengemeinde sowie Aziz Esen für die syrisch-orthodoxe St. Johannes-Gemeinde die offizielle Einweihung des Memoriamgartens vor. Nach dem von allen Beteiligten gesungenen Lied „Meine Zeit steht in deinen Händen“ und Ansprachen bzw. geistlichen Impulsen von Loer, Meisel und Pilz segneten die vier Geistlichen gemeinsam das neue Gräberfeld. Das (zweifache) „Vater unser“, einmal von Pfarrer Esen auf Aramäisch und damit in der Sprache Jesu vorgetragen und anschließend von allen Gläubigen gesprochen, schloss sich an.
Was danach folgte, war eine sehr persönliche Anmerkung des Heimatvereinsvorsitzenden Wilhelm Sprang. „Ich mag Friedhöfe, bin ein echter Friedhofsgänger“, bekannte Sprang, um von seinen Spaziergängen über bekannte Friedhöfe in Wien oder Berlin und dem Besuch von Gräbern dort bestatteter prominenter Menschen zu berichten. Vor diesem Hintergrund und auch weil ein Heimatverein die Pflicht habe, örtliches Geschichtsbewusstsein zu vermitteln, freute sich Sprang über die Wiederbelebung der „Arbeitsgemeinschaft Künstlergräber“ unter dem Dach seines Vereins. Gemeinsam hatten die zweite Vorsitzende Sigrid Theen, Hans Josef Alke und das Ehepaar Heinz und Helmi Bremehr die seit Längerem existierende Idee eines Rundgangs zu bedeutsamen Gräbern auf dem Wiedenbrücker Friedhof wieder aufgegriffen. Mit ihrem Engagement, so Sprang, hätten sie dem drohenden Verlust der Gräber erfolgreich entgegengewirkt. Kompetente Beratung erfuhr der Kreis dabei von Kunsthistorikerin und „Wiedenbrücker Schule“-Expertin Christiane Hoffmann, praktische Unterstützung erhielt er von der Arbeitsgemeinschaft der Friedhofsgärtner.
Das 80-jährige Wirken der „Wiedenbrücker Schule“ und deren Bedeutung für die Stadtentwicklung bis hinein in die Gegenwart würdigte Christiane Hoffmann in ihren Worten zu dem neugeschaffenen Rundgang. Die „Wiedenbrücker Schule“, so Hoffmann, sei auch ein wichtiges Wirtschaftsgut der Stadt gewesen, aus dem später die ortsansässige Möbelindustrie hervorgegangen sei. Hoffmann äußerte den Wunsch, der Rundgang möge auch das Geschichtsinteresse in der jungen Generation wecken. So ist jede der 28 Stationen des Rundwegs mit einer kleinen Infotafel versehen. Gedruckte Flyer mit einer Kurzbeschreibung befinden sich in einem Ständer am Memoriamgarten. Über einen dort und auf den Infotafeln abgedruckten QR-Code lassen sich weitere Informationen zu der jeweiligen Grabstätte und/oder ihrem Gestalter abrufen. Ausdrücklich lud Christiane Hoffmann zu einem Dialog mit ihr und dem Heimatverein ein. Die „Wiedenbrücker Schule“-Fachfrau: „Wir liefern zwar viele Informationen, können aber nicht alles wissen und konnten auch nicht alles in Erfahrung bringen.“ Wer über weiteres Detailwissen verfüge, solle sich deswegen gerne mit den Initiatoren in Verbindung setzen. Hoffmann: „Das Schöne ist – wir können im Netz alles jederzeit ändern und auf den neuesten Stand bringen.“
Das anschließende Angebot mit Hoffmann und Sigrid Theen unter fachkundiger Leitung den Rundgang über den Friedhof abzugehen, nahmen etliche Besucher der Einweihungsfeier gerne an. Eine von ihnen war die pensionierte Realschullehrerin Ursula Erning. Obwohl die gebürtige Beckumerin seit 45 Jahren in Rheda-Wiedenbrück lebt und heimatgeschichtlich äußerst interessiert ist, hatte sie bislang keine Kenntnis von der Existenz der Soldaten und Kriegsopfergräber von 1945, die die Nummer 14 des Rundgangs tragen. Umso mehr freute sich Erning über die geschichtlichen Details, die sie dazu von Sigrid Theen erfuhr.
Nicht auszuschließen ist übrigens, dass der erste offiziell ausgewiesene Rundgang über den Wiedenbrücker Kommunalfriedhof nicht der letzte bleibt. Heimatvereinsvorsitzender Wilhelm Sprang jedenfalls kann sich gut vorstellen und regte Entsprechendes an, einen weiteren Rundweg zu den Gräbern von Menschen mit Bezug zur Stadtgeschichte anzulegen.
Text und Fotos: Rainer Stephan